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Kampf der Systeme

Eine historische Begegnung am Lac Léman

Dass die Schweiz kulturell und politisch durch den Rösti-Graben in zwei Teile gespalten ist, weiss inzwischen jedes Kind. Ein anderer, sich durch ganz Europa erstreckender Graben existiert zwar schon seit längerer Zeit, ist aber bisher noch weitgehend unbekannt. Die Rede ist vom Graben, der die beiden erfolgreichsten Fussballsysteme vonaneinander trennt. Auf der einen Seite die lateinisch-geprägte Spielkunst, auf technisch hohem Niveau und mit Hang zur Verspieltheit; auf der anderen Seite die von Deutschland perfektionierte Fussballkunst, effizient und kampfbetont.

von Diego Künzi

Eigentlich wollten die drei Studenten T. Begel, D. Künzi und S. Mühlebach einfach das letzte freie Wochenende vor dem Schulbeginn geniessen. Sie beschlossen, den Sprung über den gefürchteten Rösti-Graben zu wagen und reisten guter Dinge nach Lausanne, das am Genfersee liegt.

Welschland vs Deutschschweiz

Angekommen im Strandbad dauerte es nicht lange, bis die drei Lust verspürten, sich mit einem kleinen Fussballspiel die Zeit ein wenig zu vertreiben. Natürlich wurden bald einige Romands auf das muntere Treiben aufmerksam, und forderten mit gebrochenem Deutsch und malerischer Gestik zu einem Plausch-Match. Fussball verbindet eben die verschiedensten Völker, und schon nach kurzer Zeit enwickelte sich eine animierte Partie, an der der geneigte Zuschauer bestens eine Stilstudie über die beiden angewendeten Spielsysteme verfolgen konnte. Die Welschen versuchten immer wieder, mit wirbligen Dribblings und technischen Einlagen Unruhe in den gegnerischen Reihen zu stiften, vernachlässigten dabei aber ihre defensiven Pflichten. Die drei Studenten setzten dagegen die bekannten deutschen Fussballtugenden ein und eroberten sich durch unbändigen Einsatz manchen Ball postwendend wieder zurück. Im Ballbesitz, stiessen sie dann mit präzisem Kurzpassspiel über die Flanken in die gegnerische Hälfte vor, schafften sich mit geschickten Stellungswechseln regelmässig ein spielerisches Übergewicht in Ballnähe und kamen so zu mehreren Chancen.

Ein freundschaftlicher Händedruck am Schluss

So wiegte das Spiel hin und her, und die zahlreich anwesenden Badegäste begriffen langsam, dass es sich hier nicht um irgendeinen Match handelte, sondern um ein Aufeinanderprallen zweier grundlegend verschiedener Fussballsysteme, wie sie nur noch selten so stilgetreu kultiviert werden. Die französisch sprechende Mehrheit unterstützte nicht nur ihre Romands, sie spendeten auch den deutsch-schweizerischen Aktionen spontanen Beifall. Nach einiger Zeit machten sich bei den Studenten jedoch der durch die häufigen Forecheckings entstandene Kräfteverschleiss bemerkbar. Jetzt übernahmen die Welschschweizer das Heft und erzwangen Dank ihrer technischen und konditionellen Überlegenheit ein geringes spielerisches Übergewicht, dem die Gegenspieler ihren unermüdlichen Kampfesgeist entgegensetzten. Trotz einiger Gehässigkeiten reichte man sich am Ende freundschaftlich die Hand und ging in gegenseitigem Respekt auseinander.

Der Rösti-Graben ist an allem Schuld

"Warum ist die Schweiz noch nie Weltmeister geworden?", mag sich der eine oder andere verwundert fragen. Deutschland, Frankreich und Italien können alle Weltmeister- bzw. Europameistertitel vorweisen, die Schweiz kam jedoch nicht über einen Viertelfinal (1954, verloren gegen Österreich) und in jüngster Zeit über den sang- und klanglos verlorenen Achtelfinal gegen Spanien hinaus. Dies ist nur dadurch zu erklären, dass sich die Schweizer Nationalmannschaft seit dem Bestehen des Rösti-Grabens nie richtig mit einem der beiden Fussballsysteme identifizieren konnte. Manche Mannschaft besass das spielerische Potential für den ganz grossen Coup, scheiterte aber immer wieder an der zweideutigen Spielart des Systems.

Der Lac Léman fest in brasilianischer Hand

Als die Studenten aus der Deutschschweiz schlendernd das Strandbad verliessen, kamen sie an einer Samba-Gruppe vorbei, die sich mit rythmischen Klängen auf den bevorstehenden WM-Final Brasilien gegen Italien einstimmten, zwei typische Vertreter der lateinischen Fussballauffassung. Sehr zum Ärger unserer deutsch-schweizer Studenten, die wohl noch lange auf ihren Traum-Final Deutschland-Schweiz warten werden.


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